LP Review: Waving the Guns - Das muss eine Demokratie aushalten können (2019)

Das Warten hat ein Ende! Seitdem ich Anfang des Jahres das Video "Perlen für die Säue / Das muss eine Demokratie aushalten können" auf dem YouTube Kanal von Audiolith Records entdeckt habe, freue ich mich auf den neuesten Output der drei Rostocker. Und das zurecht. Den ersten positiven Eindruck macht das Bundle, in dem die Platte von Audiolith verpackt wurde: Aufwendig gestaltete LP Hülle mit schönem Inlay, Booklet, Download Code (okay, das ist mittlerweile selbstverständlich), vielen Stickern, einem kleinen Patch, Shirt, und zwei Zeitungen zur politischen Bildung.
Und auch der Inhalt strotzt vor Sorgfalt und Aufwand bei der Arbeit. Waving the Guns haben inklusive Intro und Outro 15 Tracks auf die Platte gepresst, und selbst Einleitung sowie Ende sind keine Füller sondern richtige Songs. Fast fünfzig Minuten Musik stecken in diesem Tonträger. Darauf präsentieren sich die drei WTG Mitglieder Dub Dylan, DrDmg und Milli Dance, Features gibt es von AzudemSK und SketchOne, und DJ Loaf war für die Cuts zuständig.
Waving the Guns sind die Abrissbirne im deutschen Rap Business. Sie kommen mit dem prolligen Charme von frühen Genetikk, der Attitude von Egotronic oder der Antilopen Gang, und der Glätte eines Fünf-Tage-Bartes an den Start. Boom Bap auf ca 90 Beats pro Minute trifft funkige und bluesige Samples, paart sich mit gewitzten Wortspielen und gestreckten Mittelfingern, und präsentiert sich in eloquenter, breitschultriger und politischer Tonkunst. Dabei haben Waving the Guns im Vergleich zu älteren Veröffentlichungen das stumpfe Pöbeln abgelegt und zeigen sich deutlich gehaltvoller. "Das muss eine Demokratie aushalten können" ist zweifelsohne die stärkste Publikation des Trios bisher.
Musikalisch lassen die Rostocker erkennen, dass sie sich in vielen Gebieten gut auskennen. So sind die Beats sauber produziert und erinnern mit vielen Samples aus warmem, knackend basslastigem Funk und Blues gerne an deutsche Rapproduktionen vor der Jahrtausendwende oder Größen wie DJ Premier oder Pete Rock. Auch klassische Elemente finden ihren Platz wie im Beat von "Ich werde mich verteidigen"; Streicher erzeugen starke Spannung, ohne dass es nach pathetisch-weinerlichem Gangsterscheiß klingt. Die Cuts passen thematisch genau in die Thematik Tracks wie ein Pflasterstein  in einen Nazimob. DJ Loaf bringt dabei nicht nur Lines aus deutschem Rap, Filmzitate sondern selbst aus Punk Songs ein (z.B. "This is what democracy looks like").
Auch Milli Dance wirkt auf "Das muss eine Demokratie aushalten können" noch akurater als auf älteren Platten. Die Lyrics passen druckvoll und ohne jegliche Verständnisprobleme auf die Tracks, die Adlibs unterstützen das Ganze perfekt, und auch die gesungenen Parts sitzen und und fest. Nein, ich werde nicht nach Autotune schreien, wie es im Titeltrack heißt. Angenehm ist zu hören, wie Milli mit Betonungen und verschiedenen Stimmlagen spielt, ohne dabei sein eigenes Rapthema zu verlieren. Das sticht besonders gut raus, da das Gehör nicht durch endlos viele Featuregäste abgelenkt wird. Milli Dance, DrDmg und Dub Dylan arbeiten unheimlich gut und akribisch zusammen. Mein liebstes Beispiel hierfür sind die Spannungsbögen im Song "Denkpanzer", indem der abwechslungsreiche Beat perfekt durch Millis Einsätze ergänzt wird.
Textlich packen Waving the Guns ebenfalls eine ordentliche Schippe auf das drauf, was sie bisher an die Masse gebracht haben. Sprachgewandter und intelligenter Battlerap mit einer gewissen Portionen Selbstdarstellung und natürlich Wagenladungen politischer Messages, die wie ein Merkava über die Platte preschen. Waving the Guns packen aus, und das machen sie gut. Es wird kein Auge trocken gelassen und kein Arschloch verschont. Oscar Pistorius, Hans-Heorg Maaßen, besorgte Bürger, Sexisten, Fahnenschwenker, Partypatrioten, neoliberale Spaten und noch so viele mehr kriegen hier ihr Fett weg. Auch der eine oder andere Rapper bekommt hier seine Packung. Beim Anfang von "Oscar Pistorius" bin ich nicht sicher, ob die ersten Zeilen gegen Private Paul gerichtet sind. Kann mir da jemand helfen? Oder ist es doch nur auf die patriotischen Deppen bezogen, die nach Silvester in Köln plötzlich alle "Feministen" waren?
Das Warten hat sich gelohnt! Drückt den Joint aus und zieht die Sturmhaube auf! Waving the Guns sind angekommen und leuchten als abgerissener Mercedesstern am vollgesprayten Sternenhimmel des deutschen Politrap. Die Line aus dem Outro "Hoffentlich gibt es ein nächstes Mal" kann ich nur mit dickem Edding endlos unterstreichen. Streckt die Fäuste nach oben und unterstützt diese fantastische Gruppe. Auf ihren Konzerten, bei der Veröffentlichung ihrer Musik, im alltäglichen Kampf gegen Sexisten, Nationalisten, Faschisten, Antisemiten und alle anderen ekelhaften Wichser.

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