Sexismus im Punk: Podiumsveranstaltung
Als im Jahr 1911 zum ersten Mal der Weltfrauentag zelebriert wurde, war noch nicht absehbar, dass es einmal Punk Rock und Hardcore geben würde. Inzwischen wurde das Datum des feministischen Kampftages vom 19. auf den 08. März verlegt und er wird seit 1921 regelmäßig ausgerichtet. Dass 100 Jahre Frauenkampftag nicht unbedingt ein Grund für unbändige Euphorie sind, zeigt sich allein dadurch, dass die Debatte um gleiche Rechte für FLINTA* Personen noch immer geführt wird.
Der Kampf für ein
würdiges Leben für alle Menschen wird an vielen Fronten ausgetragen – auch im
Kosmos von Punk Rock und Hardcore. Zu diesem Anlass fand am 06. März 2021 eine
Podiumsdiskussion statt, zu welcher Horte eingeladen haben. Fast 300
Anmeldungen gingen ein und mindestens 230 Konten waren während des Online
Events bei der Sitzung angemeldet. Da wahrscheinlich nicht nur in meinem
Wohnzimmer mehr als eine Person vor dem Bildschirm saß, war die Zahl der
Teilnehmenden sicherlich größer als 300.
Abbildung: Horte |
Luna vom Horte Kollektiv leitete die Moderation
für das etwa zweistündige Event. Auf dem digitalen Podium waren:
Andrzej (ohne Pronomen): zuständig für Gitarre und Gesang bei der queerfeministischen
Hardcore Band Eat My Fear. Andrzej organisiert darüber hinaus auch
Konzerte und Veranstaltungen;
Diana Ringelsiep (sie): Journalistin und Autorin. In ihren Büchern und
Texten schreibt die Kulturjournalistin unter anderem über Punk Rock und
Popkultur;
Janine (sie): Tontechnikerin beim SO36. Janine arbeitet in einem
Berufsfeld, das viel zu oft zur cis-Männerdomäne deklariert wird;
Mia (sie): Stimme der Street Punk / Oi! Band Oi!ronie aus
Berlin-Hohenschönhausen.
„Es gibt noch
andere, die die Schnauze voll haben“
Nach einer kurzen
Vorstellungsrunde geht Diana in medias res und beschreibt den aktuellen
Stand der Debatte um Sexismus im Punk. Ein wichtiger Ausgangspunkt war der
Artikel von Sabrina (Lügen), in welchem sexistische Übergriffe auf
Festivals thematisiert wurden. Da wurde bewusst „es gibt noch andere, die die
Schnauze voll haben“. Noch im Dezember des gleichen Jahres erschien ein Artikel
über Black Square, worin Fini auf ihre Rolle als „Freundin von…“
reduziert wurde und spätestens hier war das Fass endgültig übergelaufen. Als
Konsequenz setzte Diana den Beitrag „Sexismus geh sterben“ im Kaput Mag
auf und erhielt Rückmeldung von etlichen Betroffenen, die über ihre Erfahrungen
mit Sexismus im Punk berichteten. Es war also eindeutig, es „ist kein Thema,
das neu aufploppt“. Punk Rock in Deutschland hat ein Sexismusproblem. Das zeigt
sich allein schon daran, dass die Riot Grrrl Bewegung der 90er hierzulande kaum
Fuß fasste und Role Models für FLINTA* im deutschen Punk schwer sichtbar waren.
Und doch hat die Szene ihre Bedeutung und ihr Potenzial. So berichtet Andrzej, wie hilfreich und unterstützend vor allem die queerfeministische Hardcore Szene sein kann. Der Kosmos sei ein Ort des gegenseitigen Verständnisses und ein wichtiger Nährboden, um queerfeministische Inhalte auch über die Bubble hinaus zu äußern. Andrzej sagt dazu „Punk Rock saved my Life“.
FLINTA* und
die Bühnen
Einer der
zentralen Orte für Punk Rock ist die Bühne. Leider ist dies auch einer der
Orte, an dem die Diskriminierung von FLINTA* Personen im Punk spürbar wird. Mia
führt an, dass eine Band sofort eine andere Behandlung erfährt, wenn nicht alle
Bandmitglieder cis-Männer sind. Das fängt bei Sprüchen an, die sich
Musiker*innen immer wieder gefallen lassen müssen. Von „schwing doch mal die
Hüften“ über „sing doch mal lauter“ bis zu „Muschi!“ kennt das verbale
Potential der Sexisten keine Grenzen. Auch Kommentare à la „ihr werdet doch nur
eingeladen, weil ihr eine Frau dabeihabt“, sind keine Seltenheit. Und manchen
Angestellten von Venues mussten Mia und Oi!ronie erklären, dass sie
wirklich Zugang zum Backstage hat. Nein, sie ist kein Groupie, keine „Freundin
von…“ – sie ist Mitglied der Band, die heute hier spielt. Oft scheint es im
Kopf vieler Leute nicht zusammenzupassen, dass Mitglied einer Street Punk Band
auch sein kann, wer nicht cis-männlich ist.
Auch Andrzej
hat Bühnenerfahrungen mitzuteilen, denn nicht einmal im Hardcore- und DIY
Bereich ist die Welt, wie sie sein sollte. Festivals, Venues,
Veranstaltungsreihen, etc. schreiben sich emanzipatorischen Anspruch auf die
Fahne und dennoch werden die Headliner Slots von cis-Männern belegt. FLINTA*
Personen auf und vor der Bühne sind selbst hier oft marginalisiert.
Die
Ungleichbehandlung von FLINTA* Personen auf Punk Rock Bühnen endet nicht bei
der Musik, berichtet Diana. Als sie auf einer Lesetour ihr Buch „A
Global Mess“ vorgestellt hat, war eine der häufigsten Fragen zu ihrer Reise
durch Südostasien „was hat eigentlich dein Mann dazu gesagt?“.
Janine kennt die Bühnen größtenteils von der
anderen Seite her. Ihren Arbeitsplatz als Tontechnikerin im SO36 beschreibt sie
grundsätzlich sehr angenehmes Umfeld. Hier wird stark auf Diversität geachtet
und das SO36 ist sogar in der Lage, Events mit ausschließlich weiblich-queerer
Besetzung zu stemmen. An vielen anderen Orten sieht das leider nicht so aus,
denn die Tontechnik ist ein Metier, in welchem die Sichtbarkeit von FLINTA*
Personen sehr wünschen übrig lässt. In der generellen Wahrnehmung ist die Person
am Mischpult eben doch oft ein cis-Mann. Das bekommt Janine auch zu
spüren, wenn sie außerhalb des SO36 für die Tontechnik zuständig ist. Denn selbst,
wenn sie dann ihre Arbeit verrichtet, wird oft nicht wahrgenommen, dass sie
diese Arbeit verrichtet. Dass es auch funktionieren kann, zeigen eben Konzepte
wie im SO36: egal ob Metal, Punk, Pop, Queer, Disco, Soli-Event oder anderes,
hier muss nicht einmal darüber diskutiert werden, dass Diversität in allen
Bereichen die Normalität ist.
Abbildung: jpc |
Sensibilität,
Feedback und Atmosphäre
Eine der
wichtigsten Fragen, ist aber, wie mit dem Sexismus im Punk umgegangen werden
soll. Welche Strategien gibt es also, um die Subkultur für alle Menschen
attraktiv und angenehm zu gestalten? Und wie soll mit Sexismus, Übergriffen und
sexualisierter Gewalt umgegangen werden.
Andrzej spricht eine Kultur der Sensibilität und
des Feedbacks an. Alle Teilhabenden können Verantwortung nehmen, indem sie ihre
Sinne offenhalten, Sensibilität stärken und das Feedback von FLINTA* Personen
wahrnehmen. Hier sind auch und vor allem die cis-Männer in der Community
gefragt, Verantwortung zu übernehmen. Allein die Gewissheit, dass Sexismus im Punk
existiert, scheint noch immer viele cis-Männer im Punk zu schockieren.
Dazu nennt Diana
auch Ansagen, die von Bühnen aus getroffen werden. Den Stimmen und Erfahrungen
von FLINTA* Personen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, wäre schon mal ein
erster wichtiger Schritt. Dazu gehören auch Ansagen, dass ein respektvoller
Umgang miteinander an allen Orten gewährleistet werden soll – egal ob im
Moshpit, am Merch-Stand, an der Theke oder anderswo. Und da ist es auch von
Nöten, dass diese Ansagen sich zumeist primär an die Prädatoren richten.
Als vorbildliches
und hilfreiches Konzept nennt Mia Konzerträume mit Ansprechpersonen für
übergriffiges Verhalten. Egal ob solche Safe Spaces vorhanden sind, wäre es
außerdem angebracht, wenn cis-Männer mal zwei bis drei Schritte zurücktreten
und den FLINTA* Platz gewähren. Vor der Bühne, auf der Bühne, in der Technik
oder auch in der Organisation gibt es genug qualifizierte FLINTA* Personen,
denen es durch cis-männliche Platzhirsche unnötig schwer gemacht wird. Hier
wären Empathie, Perspektivübernahme und Selbstreflexion seitens der cis-Männer
von großer Hilfe, denn „ohne FLINTA* Netzwerke wäre Punk noch mehr tot als er
es eh schon ist“.
Solchen Netzwerken spricht auch Janine eine äußerst wichtige Bedeutung zu. Der Kampf gegen Sexismus im Punk ist schwer, und er ist noch schwerer, wenn er allein bestritten wird. Eben deshalb ist es so wichtig, Netzwerke aufzubauen und gegenseitigen Support zu gewährleisten. Als Beispiel nennt Janine die queerfeministische Soundcrew Sound Sisters. Und auch die generelle Atmosphäre ist ein relevanter Punkt, der schon im Kleinen anfängt. Deshalb legt beispielsweise das SO36 Wert darauf, Toiletten und Bäder nicht in das binäre Geschlechterkonstrukt zu unterteilen, sondern für alle Menschen zugänglich zu kommunizieren.
Punk ist
Fortschritt, Punk ist Drang zur Veränderung
Was nehmen wir
also mit? Und welchen Appell ziehen wir aus der Veranstaltung? Wie können wir
alle daran arbeiten, die Punkszene gegen Sexismus zu verteidigen?
„Selbstreflexion,
Selbstreflexion, Selbstreflexion“ legt Diana den cis-Männern ans Herz.
Punk hat ähnliche Probleme wie die Gesamtgesellschaft und ist durch einen
cis-male gaze definiert, der so langsam aber sicher mal abgeschüttelt werden
kann. Um Diversität und ihre Sichtbarkeit im Punk zu stärken, könne alle ihren
Beitrag leisten – sei er noch so klein. Auch wenn es noch hunderte an
Wiederholungen braucht, kann der feministische Diskurs im Punk nachhaltig
unterstützt werden.
Für Andrzej
hat Punk an sich einen progressiven Charakter, dem zu Grunde liegt, dass
Umstände besser werden können. Punk ist also Fortschritt und der Drang zur
positiven Veränderung. Das gilt für alle marginalisierten oder
unterrepräsentierten Gruppen; egal ob FLINTA*, BiPOC, Menschen mit
Behinderungen oder alle anderen, die unter Ausgrenzung oder Stigmatisierung
leiden.
Janine nennt gegenseitigen Support, Empathie und
die Bereitschaft, sich selbst zurückzunehmen, also Platz zu machen. Als
Tontechnikerin weiß sie, dass Fehler menschlich sind und allen passieren können
– egal welches Geschlecht. Werden diese Fehler von FLINTA* gemacht, haben sie
allerdings schnell ein ganz anderes Gewicht und werden nicht so schnell
verziehen wie bei einem cis-Mann. Durch diese Wahrnehmung von Feedback und
Kritik werden wiederum Strukturen verstärkt, bei denen der professionelle
Bereich der Tontechnik ein sich selbst reproduzierender cis-Männerclub ist.
Es sind diese Privilegien, mit denen sich eben insbesondere die cis-Männer im Punk mal mehr auseinandersetzen sollten, so Mia. Andernfalls wird es schwierig, die Subkultur noch lange am Leben zu halten, denn Punk ist schon dabei, immer weißer, männlicher und älter zu werden.
Abbildung: SO36
Das lassen wir
uns nicht nehmen
Es war eine
großartige, interessante und vor allem wichtige Diskussion, die trotz allen
unangenehmen Inhalten sehr viel Spaß und Hoffnung gemacht hat. Es scheint, als
bewege sich etwas im Punk. Lasst uns also daran arbeiten, dass die Punkszene zu
neuen Kräften wächst und inklusiver, diverser und fortschrittlicher denn je den
Diskurs vorantreibt. Abschließend passt hier der Satz von Mia: „Ich habe
Spaß an Punk und Oi!, und das werde ich mr von keinen Sexisten nehmen lassen!“.
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